Alle singen im Chor by Leena Lehtolainen

Alle singen im Chor by Leena Lehtolainen

Autor:Leena Lehtolainen
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Krimi
Herausgeber: rororo
veröffentlicht: 2011-11-11T23:00:00+00:00


Neun

Erde, Himmel und Meer, alles muss vergehn

Das Arbeitstempo blieb hektisch. In der zweiten Wochenhälfte beschlich mich das Gefühl, die Hälfte der Einwohner hätte sich in den Kopf gesetzt, ihren Ehepartner zu verprügeln. Nachdem ich innerhalb von drei Tagen fünf Fälle familiärer Gewalt untersucht hatte – eine getötete alte Mutter, zwei verprügelte Ehefrauen, ein im Suff vom Balkon gestoßener Ehemann und ein mit dem Jagdgewehr des Vaters zum Krüppel geschossener kleiner Bruder –, war ich bereit zu schwören, nie zu heiraten oder mir Kinder zuzulegen. Über den Fall Jukka hatte ich nur gelegentlich nachdenken können, aber immer wenn ich in den Akten las, tauchten neue Fragen auf.

Jukkas Vater hatte die illegale Vorauszahlung des Erbteils energisch bestritten, allerdings traute ich ihm nicht ganz. Eine Vernehmung von Jukkas Mutter hatte der Hausarzt der Familie bis auf weiteres untersagt. Gegebenenfalls konnte ich trotzdem ein Gespräch erzwingen, aber ich wollte die Frau nicht unter Druck setzen.

In Jukkas Auto war nichts Interessantes gefunden worden. Es gab zahlreiche Fingerabdrücke, von denen einige nicht identifiziert werden konnten, aber keine, die wir in unserer Kartei hatten. Vielleicht waren Abdrücke von dem geheimnisvollen ÄM darunter, womöglich handelte es sich aber auch um ein ganz anderes Auto. Keine Blutspuren, keine Geheimverstecke. Von mir aus konnte der Wagen den Peltonens ausgehändigt werden.

Obwohl es für die Ermittlungen nicht unbedingt erforderlich war, wollte ich an Jukkas Beerdigung teilnehmen. Ich ging zu Fuß von meiner Wohnung zur Felsenkirche. Mein altes schwarzes Kleid spannte an den Schultern. Ich hatte es zur Abiturfeier bekommen, und damals trieb ich noch kein Bodybuilding. Die schwarze Strumpfhose verdeckte die Härchen an meinen Beinen. Blumen hatte ich nicht gekauft, denn Jukka brauchte keine mehr, und die Lebenden würden es missbilligen, wenn eine Polizistin mit Blumen ankam. Außerdem wollte ich mich auf die anderen konzentrieren, die ihr Gebinde am Sarg niederlegen würden; vielleicht waren Tiina, Merike und der Mann namens ÄM unter ihnen. Zur Gedenkfeier wollte ich nicht mitgehen.

Der Himmel war bewölkt und sah nach Regen aus. Das passende Beerdigungswetter. Es lag kein Gewitter in der Luft, nur ergebenes, geradezu durstiges Warten auf den Regen. Das Kreuzkraut, das am Sockel eines Hauses ans Licht drängte, sah jedenfalls so aus, als ob es sich nach den langen trockenen Wochen nach Feuchtigkeit sehnte.

Unauffällig schlüpfte ich auf einen Eckplatz auf der Empore. Ich überlegte, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen war, und erinnerte mich an die Hochzeit meiner Freundin Annika im letzten Winter. Kirchen waren mir fremd. Ich wusste nicht, wie ich mich dort verhalten sollte, kam mir unbeholfen und laut vor, und die Worte der Pfarrer sagten mir nichts. Ich dachte selten über religiöse Dinge nach, meistens hatte ich dazu einfach keine Lust. Jetzt überlegte ich, wohin Jukka eigentlich gegangen war. Auf dem Präsidium lief das Gerücht um, vor zwanzig Jahren hätte einer der erfolgreichsten Ermittler unseres Dezernats regelmäßig einen Spiritisten aufgesucht, wenn er ein Tötungsdelikt aufzuklären hatte. Angeblich hatte das gut funktioniert. Es fiel mir schwer, an dergleichen Dinge zu glauben, aber was wusste ich schon. Möglich war alles – vielleicht war Jukka jetzt an dem Ort, den die Gläubigen Himmel nennen.



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